Die Durchführung von Token Sales ist in der Europäischen Union seit Geltung der Verordnung über Märkte in Kryptowerten (MiCAR) ein streng reguliertes Unterfangen. Emittenten müssen vor Beginn des Token Sales ein ausführliches Kryptowerte-Whitepaper erstellen und veröffentlichen. Zudem müssen sie aufsichtsrechtliche Vorgaben in Bezug auf die Art und Weise der Vermarktung der Kryptowerte, ihren Umgang mit Interessenkonflikten und die Sicherheit der von ihnen genutzten Systeme und Protokolle erfüllen. Handelt es sich bei den vom Emittenten angebotenen Kryptowerten um Asset-referenced Token (ART) oder E-Geld Token (EMT), kommen weitere aufsichtsrechtliche Pflichten hinzu. In der Ausgestaltung der den anzubietenden Kryptowerten zugrundeliegenden Token Terms sind die Emittenten demgegenüber einigermaßen frei. Über Token Terms kann die Inhaberschaft von Kryptowerten mit den unterschiedlichsten Rechten verbunden werden. Sie können als Utility Token ihren Inhabern Zugangsrechte in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen des Emittenten vermitteln, Zugriff auf Informationen, Abstimmungs- oder Wahlrechte verkörpern, im Fall von ART oder EMT Rücktauschrechte in die zugrundeliegende Fiatwährung tokenisieren oder mit sonstigen Rechten verknüpft werden. Zwar sieht die MiCAR für bestimmte Arten von Kryptowerten grundlegende Anforderungen an die zugrundeliegenden Verträge vor. Die konkreten Rechte und Pflichten von Tokeninhaber und Emittent können aber nach dem jeweils anwendbaren nationalen Privatrecht vereinbart werden. Doch gibt es für den Emittenten zu beachtende Grenzen bei der Festlegung des auf die Token Terms anwendbaren Privatrechts?
Grundsätzlich besteht freie Rechtswahl nach Art. 6 der Rom-I Verordnung
Im Ausgangspunkt gilt auch für die Erstellung von Token Terms der sich aus Art. 3 der Rom-I Verordnung ergebende Grundsatz der freien Rechtswahl. Danach können Emittenten von Kryptowerten bei der Ausgestaltung ihrer Token Terms frei entscheiden, welches Recht auf den Vertrag mit den Erwerbern von Kryptowerten Anwendung finden soll. Im Fall des Angebots von Kryptowerten an private Erwerber gilt dieser Grundsatz allerdings nur eingeschränkt. Denn nach Art. 6 Abs. 2 Rom-I Verordnung darf eine Rechtswahl nach Art. 3 Rom-I Verordnung nicht dazu führen, dass ein Verbraucher schlechtere Rechte hat, als wenn das Recht seines Heimatstaates bzw. des Staates, in dem er sich gewöhnlicherweise aufhält, anwendbar wäre. Mit der Vorschrift soll sichergestellt werden, dass Verbraucher sich in der Europäischen Union stets darauf verlassen können, dass Ihnen die Verbraucherschutzrechte zustehen, die sie aus ihrem Alltag in ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsstaat kennen. Im Bereich von Token Sales, die sich an private Erwerber richten, würde dies zur Folge haben, dass private Erwerber im Rahmen eines Token Sales eventuell unterschiedliche Verbraucherrechte gegenüber dem Emittenten geltend machen könnten, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Dieses Ergebnis wäre unpraktikabel und würde dem Gedanken der Gleichbehandlung aller Erwerber einer Gesamtemission zuwiderlaufen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Rom-I Verordnung für Token Sales für private Erwerber eine anwendbare Ausnahmevorschrift vorsieht.
Bei öffentlichen Angeboten von Finanzinstrumenten gilt das Verbraucherschutzprivileg des Art. 6 Abs. 2 Rom-I Verordnung nicht
Es stellt sich die Frage, ob der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d) Rom-I Verordnung auch auf Kryptowerte und Vertragsbedingungen zur Ausgabe und zum öffentlichen Angebot von Kryptowerten Anwendung finden kann. Die Vorschrift bezieht sich ihrem Wortlaut nach ausschließlich auf Finanzinstrumente, die im Recht der EU regelmäßig nur Instrumente im Sinne von Art. 4 Nr. 15 der EU-Verordnung über Märkte in Finanzinstrumenten (MiFID2) erfasst. Die Ausnahme gilt also insbesondere für übertragbare Wertpapiere, Anteile an Investmentvermögen, Derivate oder ähnliche Produkte. Kryptowerte sind nach dem in Art. 2 Abs. 4 lit. a) MiCAR ausdrücklich angeordneten Alternativverhältnis von MiCAR und MiFID2 gerade keine Finanzinstrumente. Jedoch wird man mit guten Argumenten eine analoge Anwendung der Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 Rom-I Verordnung vertreten können, denn die Interessenlage von Emittenten und Erwerbern ist im Fall von Token Sales einheitlich ausgestalteter Kryptowerte vergleichbar. Der europäische Verordnungsgeber scheint das Problem der verbraucherschutzrechtlichen Privilegierung von Token-Sale-Teilnehmern mit Verbrauchereigenschaft bei Einführung der MiCAR lediglich übersehen zu haben, so dass es sich um eine planwidrige Regelungslücke handeln dürfte. Eine Rückausnahme sieht Art. 6 Abs. 4 indes für Verträge über Finanzdienstleistungen vor. Dies ist sinnvoll, da sich Finanzdienstleistungen lediglich auf ein Finanzinstrument beziehen, nicht jedoch die konkreten Rechte und Pflichten aus ihm festlegen. Da auch diesbezüglich eine Vergleichbarkeit mit dem Bereich der Kryptowerte bejaht werden kann, sollte auch die Rückausnahme für nachgelagerte Dienstleistungen – hier dann Kryptowerte-Dienstlistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 16 MiCAR – analog angewandt werden.
Rechtsanwalt Lutz Auffenberg, LL.M. (London)
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