Seit etwa 2015 wählen insbesondere Startups zur Finanzierung ihres Unternehmens nicht selten den Weg über ein sog. Initial Coin Offering (ICO). Dabei handelt es sich um die Erschaffung eigener Kryptotoken, die anschließend an interessierte Anleger veräußert werden. Je nach Projekt verknüpfen ICO-Emittenten die von ihnen ausgegebenen Token mit weiteren Rechten für die Tokeninhaber, etwa besondere Rabatte oder sonstige Vorteile beim Erwerb der vom Emittenten im zu finanzierenden Geschäftsbetrieb angebotenen Waren oder Dienstleistungen. ICO-Token gewähren den Anlegern regelmäßig keine echten Gesellschaftsanteile und auch nur selten Mitbestimmungsrechte. Zur Bewerbung von ICOs erstellen ICO-Emittenten wohl in Anlehnung an das von Satoshi Nakamoto 2008 veröffentlichte Konzeptpapier zu Bitcoin ein als „Whitepaper“ bezeichnetes Dokument, in dem sie Anlegern ihr Projekt und ihre Vision sowie eventuell einige Angaben zum geplanten Token Sale vorstellen. Die Bewerbung von Anlageprodukten ist jedoch ein sehr haftungsträchtiges Thema, bei dem Anbieter höchste Vorsicht walten lassen sollten. Die rechtlichen Anforderungen ergeben sich dabei aus der konkreten Art des angebotenen Produkts und den mit ihm verknüpften Rechten.
SPEZIALGESETZLICHE UND BÜRGERLICH RECHTLICHE PROSPEKTHAFTUNG
Als Faustregel gilt, dass jede Veröffentlichung für die Allgemeinheit, die den Anschein erweckt, eine umfassende Beschreibung eines Anlageproduktes für Anleger darzustellen, als ein Prospekt nach den in Deutschland geltenden Prospekthaftungsregeln gelten kann. Welche konkreten rechtlichen Anforderungen solche Dokumente erfüllen müssen, richtet sich stets nach dem angebotenen Anlageprodukt. Für Token, die als übertragbare Wertpapiere im Sinne der EU-einheitlich geregelten Wertpapierregulierung einzuordnen sind, legt die EU-Prospektverordnung fest, welche Inhalte Wertpapierprospekte haben müssen und welche rechtlichen Konsequenzen Anbietern drohen, die hinter den Anforderungen zurückbleiben. Für Token, die beispielsweise nur eingeschränkt übertragbar und deshalb als Vermögensanlagen nach dem deutschen Vermögensanlagengesetz qualifizieren, gelten spezielle Prospektaufstellungs- und Prospekthaftungsregeln. Stellen Token hingegen weder Wertpapiere noch Vermögensanlagen dar, können die für ihren Verkauf genutzten Vertriebsdokumente dennoch Prospekthaftungsansprüche nach den von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der sog. bürgerlich rechtlichen Prospekthaftung auslösen. Damit sind alle für den öffentlichen Verkauf von Anlageprodukten genutzten Marketing Materialien potenzielle Haftungsquellen. Die Haftungsregeln unterscheiden nicht, ob ein Anbieter ein Marketinginstrument als Prospekt, Werbebroschüre, Informationsblatt oder Whitepaper bezeichnet.
EMITTENTEN, ANBIETER UND HINTERMÄNNER KÖNNEN FÜR PROSPEKTFEHLER HAFTEN
Nach den Grundsätzen zur bürgerlich rechtlichen Prospekthaftung haftet für fehlerhafte Angaben in den als Prospekt einzuordnenden Vertriebsdokumenten nicht nur der Emittent, sondern darüber hinaus auch weitere Personen. Schadensersatzansprüche von Anlegern können sich vielmehr auch z.B. gegen den Herausgeber des Prospekts oder Initiatoren, Gründer und Gestalter richten, die nicht Emittent sind, soweit sie einen beherrschenden Einfluss auf das Management des Emittenten ausüben können. Auch denkbar sind im Übrigen Schadensersatzansprüche gegen Personen, die im Prospekt durch werbefördernde Aussagen besonderes Vertrauen für sich und das angebotene Anlageprodukt in Anspruch genommen haben. Prospekthaftungsansprüche berechtigen Anleger üblicherweise zur Rückforderung des von ihnen investierten Betrags gegen Übertragung des Anlageprodukts auf den Anspruchsgegner. Darüber hinaus kann bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen die Forderung eines entgangenen Gewinns begründet sein, der bei alternativer Investition in ein anderes Produkt realistischerweise hätte erzielt werden können.
Rechtsanwalt Lutz Auffenberg, LL.M. (London)
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